In den 80er-Jahren war der Hallwilersee derart überdüngt, dass er beinahe starb – heute gilt er als wiederbelebt. Nicht zuletzt dank Arno Stöckli. Er ist seit Bestehen des Gesundungssprojekts in den Achtziger-Jahren zuständig.
von Silvan Hartmann
Wir tauchen im Hallwilersee zu zweit ab und werden bereits in drei Metern Tiefe überrascht: Uns besucht ein rund 40 cm grosser Brachsmen. Er folgt uns gar einige Meter, bevor er wieder in den Tiefen des Sees verschwindet.
Ziemlich aussergewöhnlich. Dies, weil der Hallwilersee für eine schlechte Sicht und eine kaum intakte Unterwasserwelt bekannt ist. Deshalb wird dieser Tauchplatz von Tauchern eher gemieden.
Doch die Sicht reicht an diesem Tag über stolze fünf Meter hinaus. Wir staunen genauso über die guten Verhältnisse wie die Bootsfahrer.
Später sagen uns mehrere, dass sie auf dem Boot weit in die Tiefe blicken konnten – eine Ausnahme und wohl ein Geschenk der prächtigen Juli-Wochen ohne Regenfälle.
Hoher Phosphorgehalt
Der Hallwilersee, viel geschätzter Erholungsraum der Aargauer Bevölkerung, war einst beinahe tot. Es ging ihm die Luft aus.
Dass der See nun wieder lebt, ist nicht selbstverständlich. Landwirte rund um den Hallwilersee wandten über Jahrzehnte hinweg Düngemittel an, das den See mit Nährstoffen belastete.
Tausende Fische verendeten qualvoll, in Teilen des Sees bildeten sich wegen des hohen Gehalts an Phosphor riesige Algenteppiche.
Als die Algen verdarben und an den Seegrund absanken, wurde der dort vorhandene Sauerstoff total verbraucht. Bereits in den 1920er-Jahren stellten Fachleute fest, dass der See kränkelt. Das Wasser verfärbte sich immer wieder in beängstigende Farben und roch nach faulen Eiern.
Erst in den 1980er-Jahren kämpften Experten konkret gegen das Ableben: Der See wird seit 1985 künstlich belüftet, in den Sommermonaten wird reiner Sauerstoff in den See gepumpt.
«Mister Hallwilersee» wird er hie und da von Arbeitskollegen genannt.
Mit Liebe und viel Enthusiasmus beschreibt Stöckli im Gespräch mit der «Nordwestschweiz» das Projekt bis ins kleinste Detail.
Von der Belüftung mit reinem Sauerstoff über die Algenplage bis hin zur Belüftungsanlage. Man spürt: Das Jahrhundertprojekt ist eine Art Lebensprojekt Stöcklis.
Nicht zuletzt dank ihm gesundet heute der Hallwilersee allmählich. Während in den 1970er-Jahren der See bei rund 250 Milligramm Phosphor pro Kubikmeter äusserst stark überdüngt war, liegt der Gehalt heute noch bei 13 Milligramm. Das ursprüngliche Ziel der Experten lag bis 2015 bei «10 bis 20 Milligramm».
Der Hallwilersee, die Badewanne
Szenenwechsel: Wir tauchen weiter ab und gelangen schliesslich auf 13 Meter Tiefe. Die Sicht ist prekär, das Wasser trüber als in anderen Seen. Hier beginnt für Experten das «Tiefenwasser».
Und ab hier bis zum Seegrund kämpfen Stöckli und seine Arbeitskollegen nach wie vor mit der Sauerstoffzehrung.
Einerseits wird der See kaum durch nennenswerte Zu- oder Abflüsse mit Sauerstoff gespeist. Andererseits weist der See ein badewannen-artiges Landschaftsprofil auf. Steiles, abfallendes Ufer mit flachem, breitem Seegrund, was schlechte Eigenschaften für eine einwandfreie Sauerstoffzirkulation in den Tiefen eines Sees sind.
Zudem liegt der See windgeschützt und eingebettet zwischen Hügelzügen, was die natürliche Umwälzung des Wassers – vor allem im Winter – zusätzlich hemmt. So gelangte bislang nur alle fünf bis zehn Jahre ausreichend Sauerstoff bis zum Grund.
In der für Hobbytaucher nicht zu ertauchenden Tiefe von 47 Metern inmitten des Sees wurden deshalb sechs Diffusoren installiert, die je nach Bedarf Druckluft oder Sauerstoff in groben oder feinen Blasen ins Tiefenwasser eintragen.
Heute werden dem See im Sommer nur noch 200 Tonnen reinen Sauerstoffs beigefügt, der wöchentlich mit einem Lastwagen nach Meisterschwanden angeliefert wird. In den schlimmsten Zeiten musste der See jährlich mit bis zu 600 Tonnen Sauerstoff versorgt werden.
Genesungsprojekt kostet Millionen
Bis mindestens 2015 wird der Hallwilersee noch weiterbelüftet. Wie dem See danach weitergeholfen wird, arbeitet Stöcklis Team derzeit aus. Stöckli selbst wird dann sein Lebensprojekt abgeben. Denn im Jahr 2016 wird er 65 Jahre alt und pensioniert.
Ob mit oder ohne Stöckli: Das Wiedergenesungsprojekt lässt sich der Kanton Aargau bislang zünftig kosten.
Insgesamt rund 9,5 Millionen Franken wurden seit dem Planungsbeginn im Jahr 1983 mit dem Segen des Grossen Rates ausgegeben. Mit Geldern des Bundes sowie des Kantons Luzern lässt es sich der Aargau gar weit über 11 Millionen Franken kosten.
Wir kehren nach einem 45-minütigen Tauchgang an unseren Einstiegsort unterhalb des Restaurants Delphin in Meisterschwanden zurück.
Ein kleiner Schwarm Felchen verabschiedet uns in drei Metern Tiefe und kurz vor dem Auftauchen zieht sich ein Krebs zwischen zwei grossen Steinen in sein Versteck zurück.
Es ist der letzte eindrückliche Blick eines Lebewesens im Hallwilersee. Aber ein starkes Zeichen, das vor allem eines aussagt: Der See lebt.
(Die Nordwestschweiz)
Der Hallwilersee
Kantone: Aargau, Luzern
Fläche: 10,3 km2
Maximale Tiefe: 47 Meter
Höhe: 449 Meter über Meer
Durchschn. Wassertemperatur während Tauchgang: 21 Grad
Die schönsten Tauchplätze:Tennwil, Meisterschwanden, Aesch, Mosen, Beinwil, Birrwil
Häufige Fische: Brachsmen, Egli, Felchen, Hecht, Karpfen
Besonderes: Der See friert in strengen Wintern zu, letztmals komplett 1986.
Quelle: AZ / 29.07.2013